Neben der Frankfurter Buchmesse im Herbst gibt es für uns einen weiteren festen Termin im Kalender, um neue Bücher zu entdecken und uns einen Überblick über neue Trends – nicht nur auf dem Kochbuchmarkt – zu verschaffen: Die Londoner Buchmesse. Nur die Zeit geht leider immer viel zu schnell vorbei…
London ist für mich immer wie eine Wundertüte oder vielleicht noch besser: wie eine große Eisdiele. Unglaublich viele Sorten, die aber zusammen doch den besten Geschmack ergeben. Von jeder sollte man mal probiert haben und sei sie noch so bunt und abgedreht. Leider muss man sich auch immer etwas beeilen; das Eis schmilzt schneller, als man es essen kann. Hinterher ist man glücklich, reich an neuen geschmacklichen Erfahrungen, beschwingt vom Genuss, aber möglicherweise ist einem auch ein wenig flau. Angenehm zwar, aber vielleicht doch etwas zu viel in zu kurzer Zeit.
Die Buchmesse dort besuchen wir schon seit mehreren Jahren, hauptsächlich um ausländische Kollegen zu treffen und über neue Bücher zu sprechen, die wir möglicherweise für eine deutsche Ausgabe umsetzen möchten. Um uns auszutauschen, welche Trends im Kommen sind, wie der Kochbuchmarkt in Frankreich, England und anderen Ländern sich derzeit entwickelt oder – wenn genügend Zeit bleibt – sich über technische Entwicklungen zu informieren. Außerdem hängen wir inzwischen einen Tag dran, um das Flair der Stadt, diesen Schmelztigel der Kulturen in uns aufzusaugen und uns von Restaurants, Einkaufsmärkten oder Themenshops inspirieren zu lassen. Ich persönlich halte natürlich auch Ausschau nach neuen Design- oder Typotrends, die mir vor die Linse laufen oder in die Hände fallen.
Hoxton Hipster
Nach unserem Flug steigen wir in die Tube Richtung City. Mit der Picadilly Line bis King’s Cross und zu unserem Ziel, der Old Street Station (Northern Line), dauert es zwar über eine Stunde von Heathrow aus, aber die Zeit ist ganz gut, um sich ein wenig „einzugrooven“ in den Rhythmus der Stadt. Unser Hotel liegt unweit der U-Bahn-Station und in diesem Jahr wollten wir keine unangenehmen Überraschungen* erleben und haben rechtzeitig direkt beim Hotel gebucht – das hatte auch preisliche Vorteile, denn die Hotelkosten in London sind bekanntlich relativ hoch. Das „Hoxton Hotel“ liegt im Londoner East End, im derzeit aufblühenden gleichnamigen Stadtteil Hoxton.
Wir sind mehr als angenehm überrascht, als wir das Hotel betreten – von „Hipstern“ umgeben erwartet uns ein freundlicher Empfang, ein tolles Zimmer, kostenlose Getränke und ein echtes Designerlebnis (der Flur erinnert schwer an Deep Space Nine).
*Anmerkung: Im letzten Jahr war das Hotel, das wir gebucht hatten, wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Keiner wusste von der Buchung und wir mussten ad hoc eine Unterkunft während der Messe finden. Das hat zwar funktioniert, aber deutsche Jugendherbergen sind besser ausgestattet als das „Hotel“, in dem wir damals schließlich gelandet sind…
Viva Brazil!
Direkt um die Ecke des Hoxton Hotels befindet sich das Floripa – ein Café im „Brazilondran Style“, wie sie es selbst beschreiben. Liebe- und stilvoll eingerichtet, brasilianisch bunt, mit großer Bar und einer Bühne für Live-Musik (sehr viel Jazz- und Szenebands). Die Speisekarte ist brasilianisch angehaucht, wir bestellen uns ein „Palma Louca“ und zwei „Starter“: Coxinha (Huhn mit Koriander, Frühlingszwiebeln mit cremiger Sauce in einem Teigmantel) und Bolinha de Bacalhau (hier serviert als eine Art Fischburger mit Kartoffeln). Eine vorgezogene Einstimmung auf die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr! Zu den Klängen u.a. von Miles Davis genießen wir das sonnige Wetter auf der kleinen Terrasse vor dem Café und beobachten das bunte Treiben auf dem kleinen Vorplatz. Die Liveband bekommen wir zwar nicht mehr mit, da wir am Abend noch mit Kollegen verabredet sind, aber wenn es sich einrichten lässt, werden wir das Floripa im kommenden Jahr sicherlich wieder besuchen.
Back to England
Das Fox & Anchor konnten wir letztes Jahr schon erkunden und die urige Kneipe mit angeschlossenem Hotel hat sich auch seither nicht verändert: Üppige, mit dunklem verziertem Holz ausgestattete Räumlichkeiten, Ale vom Fass in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, eine große Auswahl an guten Single Malts und original englisches Pub-Essen. Große, schwere Holztische mit Sitzbänken, kleine Tische, die früher einmal als Nähmaschine dienten und im hinteren Teil ebenfalls in dunklem Holz gehaltene Sitzecken. Auch die Hauskatze fehlt nicht als Tischgefährte ;) Wir ordern Fish’n Chips und einen Fox & Anchor-Burger – beides in der gewohnt guten Qualität wie im letzten Jahr. Zum krönenden Abschluss probieren wir noch einen knapp 12-jährigen Benromach. Vielen Dank an unsere deutschen Kollegen Holger von Fleet Street Press, der uns dieses Londoner Kleinod näher gebracht hat, und an Ralph von book2look. Das war ein toller Start unseres Londonaufenthaltes!
Im Takt der Termine
Erst das Vergnügen, dann die Arbeit – der Montag steht bei uns ganz im Zeichen der Messe. Termine im Halbstundentakt, mit einer kurzen Pause um die Mittagszeit. Ein Glück sind wir noch gut gesättigt vom Essen am Abend vorher, denn tagsüber bleibt kaum Zeit dafür. Wer schon einmal die Frankfurter oder Leipziger Buchmesse besucht hat, dem wird die Londoner Messe eher übersichtlich erscheinen. Das hauptsächliche Geschehen findet in zwei Hallen statt und die Messe richtet sich auch nur an Fachbesucher. Zum Glück ist das ‘queuing’ in diesem Jahr schnell genug erledigt. Bei unseren letzten Messebesuchen konnte das mitunter bis zu 20 Minuten dauern… Hauptsächlich sind wir in der ersten Halle unterwegs, in der auch einige deutsche Verlage und auch die Frankfurter Buchmesse einen Stand haben. Die meisten ausländischen Kollegen kennen wir bereits und los geht die Reise. Morgens ab 9 Uhr stündlich etwa 10 neue Kochbücher gezeigt zu bekommen, mindert den Hunger um die Mittagszeit jedoch kaum und so muss als schnelle Verpflegung zwischendurch ein Sandwich her. Natürlich zu Messepreisen, aber wir können uns ja schon auf ein preiswerteres Abendessen freuen! Neben dem Besuch an den Ständen der Kollegen haben wir außerdem Termine im oberen Stock. Dort sind die Literaturagenten an durchnummerierten Tischen platziert und es geht ein wenig zu wie auf dem Basar ;) Stimmengewirr, zusätzliche Eingangskontrollen und ein munteres Treiben bestimmen hier das Bild.
Süß und roh
Themen, die uns in diesem Jahr immer wieder begegnen, sind vor allem süß oder roh. Insbesondere englische Verlage haben inzwischen eine üppige Auswahl an „raw food“-Büchern und nach Cupcakes, Cakepops & Co ist auch der Trend zu Süßem ungebrochen. Hier gilt es dann, in der Nachbereitung die wirklich interessanten Titel herauszupicken. Und natürlich darauf zu achten, dass die Bücher auch für eine Adaption auf dem deutschen Markt tatsächlich geeignet sind. Dies bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die gestalterische Umsetzung. Beispielsweise, ob die Menge an englischem Text auch für ein deutsches Buch noch machbar ist oder ob die Bilder unserem Anspruch genügen. Ausländische Produktionen haben z.B. kein Problem damit, auch einmal leicht angebranntes Essen zu zeigen. Mit dem Takt der Termine erhöht sich erfahrungsgemäß die direkte Einschätzung, ob wir die Bücher noch einmal in Ruhe zuhause anschauen wollen, oder ob sie direkt durch unser Raster fallen. Sei es, weil wir die Themen schon im Programm haben oder weil uns die Titel z.B. optisch nicht ansprechen.
Der Vorlauf bei den ausländischen Verlagen ist aufgrund der Planung für mögliche Koproduktionen (also z.B. ein Titel der gleichzeitig auf deutsch, niederländisch und spanisch gedruckt wird) übrigens enorm: Die Titel, die wir in diesem Jahr gesehen haben, kommen dann bei uns vielleicht erst Mitte 2014 oder 2015 ins Programm. Dies hängt natürlich auch vom Übersetzungs- und Bearbeitungsaufwand im Lektorat ab.
Phở-Time
Nach dem letzten Termin um 17.30 Uhr lassen wir den Abend bei einem vietnamesischen Imbiss ausklingen. Unweit unseres Hotels befindet sich das Cây Tre. Nach einigen Verständigungsschwierigkeiten – vietnamesisches Englisch verstehe ich nur in slow motion ;) – bekommen wir angenehm scharfe Gerichte serviert, in die man sich einfach nur reinlegen kann. Da ich in letzter Zeit häufig selbst eine Phở zubereitet habe, fiel die Wahl auf ein anderes Gericht. Man kann sich aber im Cây Tre seine ganz eigene Phở zusammenstellen (für alle, die das dort mal ausprobieren wollen). Direkt gegenüber befindet sich außerdem ein angeschlossener Imbiss, der die typischen Bành Mỳ serviert. Als Vorspeise bestellen wir im Cây Tre eine Wrap & Roll-Platte mit Rindfleisch im Knuspermantel, Schweinefleischröllchen im Betelblatt und Garnelen in Reispapier mit vietnamesischen Kräuter, dazu wird eine süß-scharfe Sauce und Hoisin gereicht. Als Hauptspeise wählen wir Bun Sa mit Garnelen und Bun Bo Hue mit Tofu – himmlisch! Im Übrigen ist die Dichte an vietnamesischen Restaurants bzw. Lokalitäten in London sehr hoch. Und auch brasilianische Läden sind uns in diesem Jahr häufiger aufgefallen als bisher.
London Calling
Am Dienstag ist Busfahren angesagt – die Tube bringt einen in London zwar immer schnell von A nach B, aber der Teil der Stadt, den wir am heutigen Dienstag erkunden wollen, ist am Besten mit dem Bus zu erreichen. Von unserem Hotel aus fahren wir ab Old Street Station mit dem Bus 55 in Richtung Hackney. Aussteigen sollte man hier bestenfalls Mare Street/Viktoria Road ;) Danach gehen wir am Regent’s Canal entlang, vorbei an Hausbooten, kleinen Stahlverarbeitungsbetrieben und Filmstudios zum Broadway Market. Hier trifft das arbeitende direkt auf das kreative England. An einigen Stellen sieht man bereits neu gebaute Apartment-Häuser, die in diesem blühenden Viertel auf neue Besitzer warten. Alles ist hier im Umbruch, ein wenig heruntergekommen, aber die Kreativität lauert hinter jeder Ecke. Es gibt für diesen Teil der Stadt z.B. Graffiti-Führungen, denn diese prangen an fast jeder Häuserwand. Allein auf dem Broadway Market gibt es drei Buchhandlungen, von denen wir zwei besuchen. In solchen Buchhandlungen bekommt man noch einmal einen guten Blick, welche Kochbuchthemen vor Ort im Handel platziert sind und man entdeckt manchmal auch einige Perlen, die einem auf der Messe nicht auffallen.
Auf dem Broadway Market kann man einige Zeit verbringen, es gibt ausgefallene Cafés, individuelle Shops mit allem möglichen Krimskrams und am Ende der Straße einen wahnsinnig tollen Fischladen, der sogar Schwertmuscheln im Angebot hat.
Wir schlendern weiter durch London Fields, ein kleiner Park der Richtung Hackney Central führt. Dort in der Nähe ist eine Bäckerei mit angeschlossenem Café, das uns eine englische Kollegin empfohlen hat, deren Freund dort arbeitet. Die Kooperative wäre so bei uns vermutlich nicht machbar: Ein kleines Café in den alten Lagerhallen entlang der Bahnlinien bietet einen direkten Blick in die Bäckerei (ohne Scheibe als Abtrennung!) – man kann live miterleben, wie die Produkte hergestellt werden. Der Brotbackofen steht direkt hinter der Theke, freundliches, zuvorkommendes Personal und angenehm günstige Preise. Und es gibt neben einer Auswahl von Sauerteigbroten sogar Vollkornbrot! Der Cappuccino ist für englische Verhältnisse in Ordnung – aber die „Süßen Stückle“ sind zum Niederknien. Von diesen Zimtschnecken hätte ich am liebsten eine Kiste mitgenommen! Und der Chocolate-Cheese-Cake war zwar klein, aber unfassbar üppig…
Unsere Tour führt uns dann erst mit dem Bus, schließlich zu Fuß wieder zurück in Richtung Hoxton. Entlang der Hackney Road gibt es einige kuriose Läden zu entdecken, von hipper Kleidung über Tattooshops bis hin zu Fahrradläden (Naked Custom Bikes mit farbigen Reifen und Naben sind der letzte Schrei in London!). Wir landen in der „Food Hall“ auf der Old Street, einer typisch englischen Kombination aus Gemüse- und Spezialitätenladen mit angeschlossenem Imbiss. Dort entdecken wir neben einer Dose für Orangenmarmelade zum Selbermachen, Gewürzsalzen, jeder Menge Saucen und Pickles sogar süddeutsches Bier!
Hier werden die ersten Mitbringsel eingekauft und wir wandern weiter auf der Suche nach der Hoxton Street. Ein Ziel haben wir noch vor Augen, bevor wir uns wieder auf die Heimreise machen müssen. Nach einigen Umwegen, die uns aber in tolle Design- und Buchläden mit angeschlossener Galerie führen, landen wir schließlich im Ministry of Stories. Ich hatte darüber schon im Netz gelesen und von Freunden erfahren, dass sich dieser Besuch definitiv lohnt. Und wir wurden nicht enttäuscht! Man muss diesen Shop einfach besucht haben. Ein wenig im Geiste von Harry Potter & Co. gibt es hier für Schüler Schreibkurse und für uns allerlei Unglaubliches zu kaufen. Zum Beispiel einen Monster-Stadtplan von London. Oder einen Schraubenschlüssel, mit dem man z.B. Frankensteins Kopf wieder richtig befestigen kann. Oder auch echten Feenstaub, der seinen Weg nach Deutschland gefunden hat. Ihr seht, London ist einfach fantastisch. Und leider ging die Zeit wieder viel zu schnell vorbei. Vielleicht hilft ein wenig von diesem Staub, um die Zeit hin und wieder mal zurückzudrehen ;)
Jule ist Autorin dieses Artikels, sie arbeitet hauptsächlich als Designerin beim Hädecke-Verlag.
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