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60 kg Kuchen – der Weiler Spickling

Letztes Wochenende konnte ich einen Blick hinter die Kulissen der Weil der Städter Fasnet und ihres berühmtesten Kuchens werfen: Der Spickling wurde zum Jubiläum der sogenannten Spicklingsweiber – einer Fasnetsgruppe der schwäbischen Narrenzunft AHA – als Riesenkuchen gebacken. Und wie das vonstatten ging, konnte ich dank der tollen Gastfreundschaft der Frauen direkt miterleben.

Spicklingsweiber Äpfel

In der privaten Backstube von Gudrun Schmidt herrscht reges Treiben am Samstagvormittag. In der ehemaligen Garage mitten in der Weiler Vorstadt, unweit vom Spitalhof und etwa 10 Gehminuten von unserem Verlag entfernt, duftet es nach Äpfeln und frisch gebackenem Kuchen. Die Spicklingsweiber, eine traditionsreiche Fasnetsgruppe, bereiten den größten Spicklingskuchen der Geschichte zum närrischen 77-jährigen Jubiläum vor. Geschält, geschnitzt, geknetet und gebacken wird im Schichtbetrieb, schließlich wollen heute 12 Riesenstücke fertig werden, die anschließend zum großen Kuchen mit 2 Meter Durchmesser zusammengefügt werden sollen. Die Formen für die „Pizzastückle“ wurden eigens für dieses Ereignis von einem Schlosser angefertigt, schließlich mussten sie genau in den Brotbackofen der Schmidts passen (daher auch zwölf und keine närrischen elf). Hier werden übers Jahr hin und wieder auch Brote, Pizza oder der ganz normale Spicklingskuchen mit 35 cm Durchmesser gebacken. Dass hier keine unerfahrenen Bäckerinnen am Werk sind, merkt man sofort. Die Handgriffe sitzen, Schwierigkeiten werden schnell gelöst, die Arbeitsteilung ist klar. Stillstand gibt es wohl hier den ganzen Tag nicht, an jeder Ecke „schafft es“. Während drinnen der nächste Teig in der großen Knetmaschine vorbereitet wird, ist man draußen schon mit der Vorbereitung des großen Bleches beschäftigt. Schließlich soll der Riesenkuchen auch schön präsentiert und sicher transportiert werden.

Spicklingsweiber Teigmaschine

Der Spickling ist ein schlichter Apfelkuchen mit süßem Hefeteig. Die Äpfel werden leicht übereinander in den Teig gespickt, der etwa fingerdick in der Form liegt. Das „Spicken“ bezieht sich hier auch auf die Tätigkeit des Hineinsteckens selbst. Darüber kommt ein Rahmguss und nach etwa 30 Minuten, sobald die Oberfläche goldbraun ist, ist der Kuchen fertig. Der Hefeteig wird direkt in der Knetmaschine verarbeitet, dort hinein kommt der Vorteig mit warmer Milch, der kurz gehen darf, bevor alles gut verknetet wird. Danach geht der Teig „so lang bis er fertig isch.“ Die erfahrene Bäckerin sieht das dem Teig natürlich direkt an. Das Gehen wird bei den riesigen Mengen heute etwas forciert: die Schüssel mit dem Teig steht praktischerweise direkt auf dem Ofen. Das Rezept haben die Spicklingsweiber auch ins Netz gestellt „aber im Grunde ist jeder Kuchen ein wenig anders, es kommt eben darauf an, was im Haus ist“, so Viola Sauter, Pressesprecherin der Spicklingsweiber. So kann der Guss mal aus Sahne, Schmand oder saurer Sahne oder einer Mischung der Zutaten – durchaus auch mit Joghurt – bestehen. Auch die Menge an Zucker oder Eiern kann variieren. Und trotzdem kommt aus dem Ofen immer ein Spickling, der erstaunlicherweise den anderen recht ähnlich ist, sich aber im Geschmack leicht unterscheidet.

Spicklingsweiber Teig in die Form

„Früher wurde das Rezept nicht herausgegeben, denn im Prinzip ist es eben ein einfacher süßer Hefeteig und ein einfacher Rahmguss. Aber inzwischen ist es im Internet abrufbar und liegt auch im Narrenmuseum aus. Schließlich müssen ja auch neue Mitglieder wissen, wie sie den Spickling zubereiten sollen“, so Viola Sauter. „Außerdem wurde zu früheren Zeiten der Spickling auch hin und wieder ohne Rahmguss, dafür nur mit Moststreuseln serviert.“ Der Rahmguss kam dazu, da die Stücke beim Verteilen während des Fasnetsumzugs gerne auseinanderfielen. Der Guss hält nun das Stück zusammen und je nach Geschmack, Lust und Laune wird der Spickling auch mit Moststreuseln oder Zimtzucker verfeinert. Möglichst einfach soll er bleiben, denn ein echter Kaffeetafelkuchen ist er nicht, im Gegenteil, er wird traditionell eher zum Mittagessen gereicht, davor gibt es zum Beispiel eine Kartoffelsuppe.

„Das Wort „Spickling“ scheint eine lokale Weil der Städter Wortschöpfung zu sein.“ kann man auf der Website der Spicklingsweiber nachlesen. Und dessen Geschichte geht schon auf das Jahr 1781 zurück. Rund um Weil der Stadt gibt es einige Streuobstwiesen, rund die Hälfte der für den Riesen-Spickling verwendeten Äpfel stammt von ihnen. „Als unser Vorhaben publik wurde, trat eine ältere Frau aus Weil der Stadt an uns heran, die den Keller noch voller Äpfel hatte.“ Ein echter Segen für die Fasnetsgruppe. Die übrigen der insgesamt 24 kg Äpfel konnten durch Spenden des örtlichen Edeka und des Fruchtkörbles organisiert werden.

Spickling aus dem Ofen

Das Grundrezept wurde einfach hochgerechnet und so kam man insgesamt auf stolze 9 kg Mehl, 18 Würfel Hefe und z.B. auch auf knapp 2 kg Zucker. Für die einzelnen Teigportionen je Blech wurde dann wieder heruntergerechnet, die gesamte Teigmenge auf einmal zu „verschaffen“ hätte logistisch auch nicht geklappt. Zwei Bleche mit abnehmbarem Rand stehen bereit, so ist gewährleistet, dass man den Kuchen einfach vom Blech heruntergleiten lassen kann.
Das klappt auch hervorragend, allein das Auskühlen stellt sich als kleine Herausforderung dar, denn die Stücke sollten möglichst kühl auf die große Form gebracht weden, damit der Spickling nicht anfängt zu schwitzen. Die findigen Spicklingsweiber haben auch dafür sofort eine Lösung parat: Schnell werden mehrere Kuchengitter aneinandergereiht und das Stück mithilfe eines dünnen Bretts nach draußen in die sonnige Kühle verfrachtet. Das Wetter meint es nicht nur am Backtag gut mit der 25-köpfigen Frauentruppe.

Spickling Transport

Am Tag darauf ziehen durchweg stolze und strahlende Spicklingsweiber den Riesenspickling bei ebenso strahlendem Sonnenschein aus einer anderen Garage – die Einfahrt der Backgarage war zur Lagerung nicht breit genug. Sie dürfen den Umzug zum Narrensprung heute anführen und der Spickling ist in seiner ganzen Größe auch wirklich beeindruckend. 60 Kilogramm Kuchen werden nun die Stuttgarter Straße, quer durch’s „Städtle“ bis zum Marktplatz geschoben. Dort kommt der Kuchen schließlich unter die Leute – verkauft wird grundsätzlich nicht, aber heute darf gespendet werden für das Kinderhospiz in Stuttgart. Innerhalb einer halben Stunde ist das Blech leer, das Spendenkässle gefüllt und viele Menschen glücklich – und das mit einem einfachen Apfelkuchen.

Spicklingsweiber Umzug

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, kann entweder nachbacken oder diesen Sonntag nach Weil der Stadt fahren und ab 14 Uhr den Fasnetsumzug verfolgen. Dort wird natürlich jede Menge Spickling verteilt und noch einige andere „Spezialitäten“ der einzelnen Gruppen. Infos findet ihr direkt bei der Narrenzunft.
Übrigens: Auch in der regionalen Presse wurde über den Spicklingskuchen berichtet, zum Beispiel hier oder hier.

 

JuleJule ist Autorin dieses Artikels, sie arbeitet hauptsächlich als Designerin beim Hädecke-Verlag.

 

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